Letztens saßen wir mit unseren Freunden zusammen bei einem Gläschen Wein und es kam die Frage auf, was es für einen Unterschied macht, mit der Führungskraft per "Du" oder per "Sie" zu sein. Wir haben sehr kontrovers darüber diskutiert und waren uns schnell darüber einig, dass es für uns durchaus einen Unterschied zwischen einem "Du Depp" und einem "Sie Depp" gibt. Doch was hat ein "Du" oder "Sie" für Auswirkungen? Und ist ein "Sie" wirklich "alt", "steif" und "altmodisch" und das "Du" das Einzig Wahre und Zeichen eines modernen Lebensgefühls? Das wollte ich gerne mal etwas genauer wissen und habe mich daher mal in die Sphären der Wissenschaft begeben und doch so einiges Erstaunliches herausgefunden.
Generell herrscht gerade in Deutschland regelmäßig Verwirrung über die Anrede und so mancher kippelt bei dem Versuch eine Balance zwischen plumper Vertraulichkeit und kühler Distanz herzustellen. Wo es noch mit 16 einem Ritterschlag gleicht, wenn der Lehrer das "Du" gegen das "Sie" eintauscht, wirkt es unhöflich, und bisweilen sogar frech und peinlich, wenn die junge Mitt-20er-Kellnerin im Café um die Ecke weit über 50-Jährige mit einem "Und was kann ich Dir heute Gutes tun?" begrüßt. Da kann es dem ein oder anderen schon mal die Sprache verschlagen!
Von wegen „Auf gute Anrede folgt guter Bescheid“ (deutsches Sprichwort)! Ein gut gemeinter Ratschlag, der allerdings in der Praxis nicht so leicht umzusetzen ist, wie das kurze obige Beispiel bereits deutlich macht.
Wagen wir mal einen Blick in alte Zeiten: Da gab es nämlich feste Regeln und Normen für die korrekte Form der Titulierung. So standen jahrhundertelang das „Ihr“ und das „Er“ für das spätere „Sie“ und „Du“ der Deutschen. Respektspersonen aus Klerus und Adel wurden seit dem 8. Jahrhundert „geihrzt“ („Erlaubt Ihr, dass ich mich nähere?“), der Fürst wiederum sprach von sich selbst im „Pluralis Majestatis“ („Wir erlauben es!“). Untertanen hingegen wurden mit einem abschätzigen „Er“ (noch unter dem „Du“) betitelt – also „geerzt“ („Kerl, hat er denn überhaupt Pulver auf der Pfanne?“). Sozialer Aufstieg wurde gelegentlich mit „Ihrzen“ belohnt. Martin Luther zum Beispiel duzte seinen Sohn Hans, fühlte sich dann aber zum „Ihr“ verpflichtet, als Hans sein Magisterexamen bestand. Es liegt also nicht nur an der oft schwerfälligen deutschen Sprache, sondern zeigt sich auch im Englischen, wenn auch auf eine andere Art und Weise. So hat zwar das „you“ die veraltete, nach Shakespeare klingende Singularform „thou“ völlig verdrängt. Das „you“ ist aber keinesfalls mit dem intimen deutschen „Du“ gleichzusetzen, sondern eine respektvolle Pluralform. Somit duzen sich in England nicht etwa alle, sondern siezen sich kontinuierlich.
In der heutigen Zeit gibt es hingegen viel mehr Spielraum bei der Auswahl. Dadurch gibt es aber auch mehr Raum für Fettnäpfchen und Chaos ist vorprogrammiert. Wo das „Du“ für den einen Nähe und Vertraulichkeit ausdrückt, hört der andere Herablassung und den Versuch der Dominanz. Gerade „mit Mitte 30 wird das Selbstbild und das Fremdbild in Bezug auf die eigene Jugendlichkeit prekär“, sagt der Linguist Leonhard Kretzenberger. So fühlt sich gerade diese Generation einerseits geschmeichelt, wenn sie von Jüngeren geduzt werden, andererseits gönnerhaft behandelt, wenn dies Ältere tun. Ein Widerspruch also, der so einfach nicht zu lösen ist.
Siezen kann sogar lebenswichtig sein. Der Psychologe und Allgemeinmediziner Wolfgang Ladenbauer, Vizepräsident des österreichischen Bergrettungsdienstes, beschäftigte sich mit der psychologischen Ersten Hilfe bei Bergunfällen und stellte fest, dass gegenseitiges Duzen zwischen Retter und Hilfsbedürftigem in vielen Fällen Vertrauen schafft, junge Männer hingegen lieber gesiezt werden wollen. „Bei jungen Männern ist die Autonomie eine wichtige Frage“, erklärt Ladenbauer dieses Phänomen, „Verletzungen bedeuten einen Kontrollverlust und damit eine Beeinträchtigung der Autonomie. Durch Siezen stärke das Gegenüber in diesem Fall das angeknackste Selbstbewusstsein der jungen Erwachsenen."
Doch egal ob "Du" oder "Sie": Es geht um Respekt, Rang und Macht und die eigene, soziale Stellung. Doch auch das Umfeld, die Firmentradition, der Ton und die Haltung sind essentiell bei der Entscheidung zwischen "Du" und "Sie". Und zwar gerade wenn die Beziehungen der Gesprächspartner auf verschiedenste Weise hierarchisch strukturiert sind, sagt Peter Walschburger, Professor für Biopsychologie an der Freien Uni Berlin. Eine abgeflachte Hierarchie ändert also nichts an der Befehlsgewalt. „Du machst, was ich sage“ klingt daher nicht wirklich angenehmer als in der Höflichkeitsform und hat auch nichts mit einem Kulturwandel zu tun, wie es so manch Unternehmer glaubt.
Weiterhin sagt Walschburger: "Wir Menschen sind soziale Wesen und suchen seit jeher die Nähe verwandter, vertrauter oder zumindest bekannter Artgenossen und meiden eher fremde Sozialpartner. Distanzregulierung ist deshalb ein grundlegendes Geschehen in der Natur sozialer Beziehungen. Vor allem beim Menschen dürfen wir uns nicht nur auf die räumlich-metrische erfassbare Distanz beschränken, sondern müssen etwa den freundlichen oder abweisenden Gesichtsausdruck mitberücksichtigen, aber auch den Blickkontakt, die Gestik, schließlich auch sprachliche Äußerungen wie das Duzen und Siezen.“
Vielleicht bedenken Sie das ja beim nächsten Mal, wenn Sie jemanden ein "Du" anbieten oder ein "Du" angeboten bekommen. Denn letztlich entscheidet bei der Wahl zwischen "Du" und "Sie" Jeder für sich, als welcher Mensch er oder sie gesehen werden möchte und vor allem, wie er den Gegenüber sieht oder sehen möchte!
Und so schließt sich der Kreis und wir landen wieder dort, wo alles anfängt...bei Empathie, Respekt, Wertschätzung und Haltung! Fehlen diese, spielt es keine Rolle, ob wir per "Du" oder per "Sie" sind! Denn die Formulierung "Du Depp" oder "Sie Depp" macht dabei keinen Unterschied!
In diesem Sinne, bewahren Sie Haltung, ob per "Du" oder "Sie"!
Ihre
Barbara Ries
Write a comment