· 

Unser Gehirn spielt uns manchmal Streiche - und das ist auch gut so!

Nun ist es da! Das neue Jahr! Welches haben wir nochmal?Ach ja, 2023. Unfassbar, wie schnell die Zeit wieder verflogen ist!

 

Manchmal frage ich mich, seit wann sich dieses Gefühl eingestellt hat. Als Kind oder Teenie war das doch noch anders. Oder etwa nicht? 

 

Ach, in Erinnerungen zu schwelgen ist eine schöne Sache, gerade auch am Ende eines Jahres. Nicht umsonst gibt es so viele Jahresrückblicke. Doch leider haben Erinnerungen einen Haken - sie sind wahnsinnig unzuverlässig. Vor allem je länger das Ereignis oder die Situation her ist. 

 

"Schuld" daran ist unser Gehirn, das dabei wie ein Student agiert, der auf Lücke lernt, damit aber schlecht klar kommt. Heißt: Bei all den Informationen, die tagtäglich auf unser Gehirn einprasseln, merkt es sich nicht die Details, sondern lediglich das grobe Ganze. Lücken füllt es dann selbstständig mit Erinnerungen. Diese müssen aber nicht zwingerdermaßen unsere eigenen sein. Stattdessen wird unser Gehirn kreativ und ergänzt Lücken, z.B. durch Dinge aus Erzählungen, Filmen oder Fotos. Oder auch durch scheinbar logische Ergänzungen. 

 

Dies zeigt unter anderem das Experiment des amerikanischen Psychologen James Deese in den 1950er-Jahren. In diesem wurden Versuchspersonen gebeten, eine Liste mit Begriffen auswendig zu lernen. Die Liste enthielt dabei Begriffe wie Stechen, Spritze oder Injektion. Das Wort Nadel hingegen kam aber nicht vor. Bei der Abfrage war es daher sehr überraschend, dass die Probanden aber dennoch angaben, auch dieses Wort auf der Liste gesehen zu haben. Deese führte das darauf zurück, dass unser Gedächtnis gerne dazu neigt, Wissenslücken durch scheinbar logische Ergänzungen aufzufüllen. Auf diese Weise entstehen sogennante „False Memories”. Übersetzt heißt das: Obwohl ein Ereignis nie stattgefunden hat, scheint es rückblickend so, als ob wir es erlebt hätten – weil es logisch in unseren Erinnerungskontext passt.

 

Wie leicht dieser Mechanismus zu aktivieren ist, hat auch die amerikanische Psychologin Elizabeth Loftus gezeigt.

In einem Experiment wollte sie Versuchspersonen weismachen, sie seien als Kind in einem Kaufhaus verloren gegangen – und das, obwohl dies tatsächlich niemals der Fall war. Wie hat sie das geschafft? Indem sie jeweils ein enges Familienmitglied jedes Probanden vorher eingeweiht hat, das dann erzählte, die Probandin bzw. der Proband hätte sich damals verlaufen und sei von einer älteren Dame zurückgebracht worden. Am Ende des Experiments glaubten 29 Prozent der Testpersonen wirklich, dies als Kind erlebt zu haben. 

Das Ganze funktioniert auch mit Bildern. In einem weiteren Experiment legte sie Probanden Fotos vor, auf denen diese jeweils als Kind in einem Heißluftballon zu sehen waren. Allerdings handelte es sich bei den Bildern um Fotomontagen. In Wahrheit waren die Versuchspersonen nie mit einem Heißluftballon geflogen. Später glaubte die Hälfte der Probanden jedoch, den Flug wirklich erlebt zu haben.

 

Allein der Glaube, etwas Bestimmtes erlebt zu haben, bedeutet daher noch lange nicht, dass dies auch wirklich so passiert ist. Klingt im ersten Moment sehr frustrierend. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, wie viele Vorteile darin stecken, dass unser Gehirn so unpräzise arbeitet: 

 

1) Die Neuroplastizität des Gehirns macht uns anpassungsfähig

Verarbeitet unser Gehirn die ankommenden Informationen, verändert es sich jeweils ein klein wenig. Es spinnt das sogenannte neuronale Netz, in dem es Nervenzellen neu oder anders miteinander verknüpft. Werden nun neue Verknüpfungen zwischen Nervenzellen und ganzen Hirnarealen gebildet, beispielsweise wenn wir ein neues Instrument lernen oder eine neue Erfahrung machen, spricht die Wissenschaft von Neuroplastizität. Unser Gehirn bestimmt daher letztlich, wie wir auf die Umwelt reagieren und gleichzeitig formt die Umwelt unser Gehirn. Eine Verarbeitung aller eingehenden Informationen würde unser Gehirn schlichtweg überfordern, daher ist der Filterungsprozess unseres Gehirn essentiell und macht uns letztlich zu den anpassungsfähigsten Wesen der Erde. 

 

2) Ohne Vorstellungskraft keine Intelligenz und Kreativität

Die Fähigkeit, Beobachtungen durch Vorstellungskraft zu verändern oder zu ergänzen, ist wesentlicher Teil unserer Intelligenz. Nur dadurch sind wir in der Lage, kreative Lösungen für Probleme in unserem Leben zu finden. 

 

3) Emotionen entscheiden darüber, was wir uns merken

Was passiert bei Ihnen, wenn Sie im Radio Ihr Hochzeitslied hören oder Sie in der Parfümerie einen bestimmten Duft riechen? Vielleicht werden Sie melancholisch oder auch euphorisch oder schweben auf Wolke 7. Laut der Neurowissenschaft liegt dies am sogenannten impliziten Gedächtnis. Dies führt dazu, dass wir uns an bestimmte Ereignisse durch entsprechende Auslöser erinnern, die wiederum Einfluss auf unser Verhalten haben. Da das implizite Gedächtnis von der Amygdala gesteuert wird, ist es eng mit unserem Körper verbunden, weshalb es dadurch zu physischen Reaktionen kommen kann (erhöhter Puls etc.).

 

4) Es ist sehr selten, dass unser Gehirn uns komplett in die Irre führt

Auch wenn die geschilderten Experimente drastisch erscheinen, kommen komplett falsche Erinnerungen eher selten vor. Auch gezielte Manipulationen haben ihre Grenzen. Wäre den Probanden im obigen Beispiel eine Ballonfahrt im vergangenen Jahr vorgegaukelt worden, hätte niemand sich daran zu erinnern geglaubt. Denn unser Gehirn checkt Informationen zuerst auf ihre Plausibilität, bevor sie sie annimmt. 

 

Welche Learnings können wir nun daraus ziehen?

  1. Kleinere Abweichungen zwischen Erinnerung und Fakt brauchen uns keine Sorgenfalten bereiten. Stattdessen dürfen wir ruhig gelassener im Umgang mit unseren Erinnerungen sein und dabei lieber einmal mehr nicht alles glauben, was wir denken!  
  2. Wir sollten uns mehr Raum für emotionale Ereignisse schaffen, denn diese erinnern wir wesentlich stärker als "nur" Fakten. Nicht umsonst ist unser Denken und Handeln geleitet von Emotionen und macht uns zu dem, was wir sind: Menschen!

 

Auf ein menschliches und emotional freudiges 2023!

 

Ihre

Barbara Ries

Write a comment

Comments: 0